ALLE können teilnehmen
Am 13. Mai 2025 veranstaltete die Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit Bayern (KGC), gemeinsam mit der Stadt Erlangen, dem Special Olympics Bayern e. V. und dem Lebenshilfe Landesverband Bayern e. V. den Fachtag „Gesundheit für ALLE – Zugänge zu Sport und Bewegung für Menschen mit Beeinträchtigung”. Im Vorfeld der Special Olympics Landesspiele Bayern 2025 in Erlangen legte der Fachtag „Gesundheit für ALLE“ den Fokus auf die Zugangschancen zu Sport- und Bewegungsangeboten für Menschen mit Beeinträchtigung. Die Moderatorin Lene Herrigel, Referentin der KGC, hieß über 140 Teilnehmende im KREUZ+QUER – Haus der Kirche in Erlangen willkommen. Darunter Menschen ohne und mit geistiger, seelischer und/oder körperlicher Beeinträchtigung, Fachkräfte aus den Bereichen Gesundheit, Inklusion, Soziales, Sport oder Politik, wie z. B. Verantwortliche aus Kommunen, Bildungseinrichtungen, Beratungsstellen, Vereinen sowie Verbänden und weitere Personen mit Interesse an inklusiver Bewegungs- bzw. Gesundheitsförderung.
Grußworte eröffnen den Fachtag
Die Veranstaltung wurde durch die Grußworte von Jörg Volleth, Bürgermeister der Stadt Erlangen („eine Stadt für ALLE“), eröffnet. Er betonte sein Interesse, Inklusion im Sport in Erlangen weiter voranzutreiben. Als nächstes begrüßte Erwin Horak, Präsident des Special Olympics Bayern e. V., die Teilnehmenden. Seine Botschaft: „Jeder hat ein Recht auf Teilhabe – sei es bei der Gesundheit, sei es in der Gesellschaft, sei es beim Sport“. Zwei digitale Videobotschaften der bayerischen Staatsministerien für Gesundheit, Pflege und Prävention sowie für Familie, Arbeit und Soziales rundeten die Begrüßung ab und unterstrichen die Wichtigkeit und Bedeutung dieser Thematik. Dabei sprach die bayerische Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention, Judith Gerlach, den Anwesenden Ihre Anerkennung für das große Engagement aus und betonte, wie wichtig es ist, „dass jede Person, die sich bewegen möchte, auch die Gelegenheit dazu erhält“. Ulrike Scharf, bayerische Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales, ging darauf ein, wie gut uns ALLEN Sport und Bewegung tun und stellte dabei besonders in den Fokus, dass „Sport und Bewegung die Gemeinschaft stärkt und uns das Gefühl vermittelt – ich gehöre dazu“.
„Geht nicht, gibt’s nicht – was nicht passt, sollte passend gemacht werden!“
Am Vormittag ging Dr. Christiane Peters des Lehrstuhls für Präventive Pädiatrie, TUM School of Medicine & Health der Technischen Universität München darauf ein, welche Chancen Bewegung und Sport für Menschen mit Beeinträchtigung bieten. Sie betonte, dass eine Beeinträchtigung, neben dem Alter, Geschlecht, Aussehen und Verhaltensweisen, nur eines von vielen Merkmalen eines Menschen ist und dass Beeinträchtigungen sehr unterschiedlich sein können. In Bezug auf die Gesundheit von Menschen mit Beeinträchtigung zeigte sich, dass sie Ihren Gesundheitszustand im Vergleich zu Menschen ohne Beeinträchtigung als schlechter wahrnehmen, häufiger rauchen und sich seltener bewegen. Jeder zweite Mensch mit Beeinträchtigung ist sogar sportlich nie aktiv. Dabei können uns Sport und Bewegung dabei helfen, fit zu bleiben, das Wohlbefinden zu steigern, unsere Leistungsfähigkeit zu verbessern und uns mit anderen in Kontakt bringen. Jedoch ist es gerade für Menschen mit Beeinträchtigung schwieriger, sich sportlich zu betätigen. Nur etwa 25 % der Vereine engagieren sich zumindest etwas für Menschen mit Beeinträchtigung. Dabei ist Sport so vielfältig: Regeln und Anforderungen können angepasst werden, dabei sind Kreativität und Flexibilität gefragt, sodass es für jede und jeden etwas passendes gibt. „Man muss nur herausfinden, was einem ein Lächeln ins Gesicht zaubert“.
Präsentation: „Menschen mit Beeinträchtigung – Welche Chancen bieten Bewegung und Sport“, Dr. Christiane Peters, TU München
„Gemeinsames Bewegen macht Spaß!“
An diesem Fachtag sollte aber nicht nur über Sport und Bewegung gesprochen werden, sondern alle Teilnehmende konnten sich gemeinsam in einer von Eva Kißkalt (Stadt Erlangen) angeleiteten kurzen Bewegungspause aktivieren. Das Lachen und die strahlenden Gesichter im Raum machten deutlich: „gemeinsames Bewegen macht Spaß“!
Nach der Pause lag der Fokus auf der Beantwortung der Frage, wie die Gesundheit von Menschen mit Beeinträchtigung in der Praxis gefördert werden kann.
„So kann es gelingen“ – Vorstellung zweier Praxisprojekte
In diesem Zusammenhang stellte zunächst Noemie Woock vom Special Olympics Deutschland e. V. das durch das GKV-Bündnis für Gesundheit geförderte Projekt „#ZusammenInklusiv – Bewegung und Gesundheit im Alltag stärken (BeuGe)“ vor, welches den Fokus auf Menschen mit geistiger Beeinträchtigung legt. Das Projekt verfolgt das Ziel, die Gesundheit von Menschen mit geistiger Beeinträchtigung in ihrem Wohnumfeld und in ihrer Freizeit zu stärken, denn laut Frau Woock ist „eine gute Gesundheit die Voraussetzung Sport zu treiben und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.“ Im Projekt werden Menschen mit geistiger Beeinträchtigung zu Bewegungs- und Gesundheits-Expertinnen und -Experten ausgebildet, welche regelmäßig Angebote zu den Themen Gesundheit, Bewegung und Ernährung durchführen. Zwischen 2019 und 2015 konnten in den 42 Projektstandorten (in acht verschiedenen Bundesländern) bereits 189 Bewegungs- und Gesundheits-Expertinnen und -Experten ausgebildet werden und durch 515 durchgeführte Maßnahmen 5.700 Menschen mit Beeinträchtigung erreicht werden. Frau Woock betonte zum Abschluss nochmals die Bedeutung der partizipativen Einbindung der Zielgruppe – „es braucht ein Konzept, dass für alle greift“, „denn viele Angebote, die wir haben erreichen die Menschen nicht“.
Präsentation: „Bewegung und Gesundheit im Alltag stärken (BeuGe)”, Noemi Woock, Special Olympics Deutschland e. V.
Als zweites Praxisbeispiel wurde das Projekt „SpAss – Sport-Assistenz“ von Prof. Dr. David Rygl vom Behinderten- und Rehabilitations-Sportverband Bayern e.V. (BVS) vorgestellt. Ziel des SpAss-Projektes ist es, durch qualifizierte Assistenzen mehr Inklusion in Sportvereine zu bringen. Das Projekt trägt dazu bei, Barrieren im Sport abzubauen, Menschen mit Beeinträchtigung beim Einstieg in den Vereinssport zu unterstützen und langfristige inklusive Strukturen in Sportgruppen aufzubauen, damit „jede und jeder dazugehören und Leistung erbringen kann“. Dabei qualifiziert das „SpAss-Projekt” Sport-Assistenzen, die Menschen mit Beeinträchtigung im Sport begleiten, unterstützen und so echte Teilhabe ermöglichen. Eine digitale Plattform erleichtert dabei den Austausch zwischen Assistenzen und Sportlerinnen bzw. Sportlern sowie die Suche nach Vereinen.
Präsentation: „SpAss – Sportassistenz – wir bringen Menschen mit Behinderung in den regulären Breitensport“, Prof. Dr. David Rygl, BVS Bayern
Danach ging es für alle in die wohlverdiente Mittagspause mit guten Gesprächen und der Möglichkeit zur Vernetzung untereinander. Die Referierenden des Vormittags standen in dieser Zeit für Rückfragen, Anregungen und Austausch zur Verfügung. Jakob Prechtl und Leonie Sauer von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und Tim Noppeney vom BVS Bayern standen am Infotisch des „SpAss-Projektes” für Rückfragen, Vernetzung und einen intensiven Austausch bereit.
Workshops zum Aktivwerden und Austauschen
Im Anschluss verteilten sich die Anwesenden auf vier parallel stattfindende Workshops. In den Workshops konnten sich die Teilnehmenden mit anderen Akteurinnen und Akteuren austauschen und selbst aktiv werden. Dabei konnten die Anwesenden zwei der vier angebotenen Workshops besuchen:
Der erste Workshop von Ina Fischer und Heike Herzog aus dem Projekt „Alles was Recht ist“ vom Zentrum für selbstbestimmtes Leben Behinderter e. V., behandelte die Frage, ob es ein persönliches „Budget für Freizeit“ gibt. Zu Beginn stellten Frau Fischer und Frau Herzog nochmals die rechtlichen Vorgaben aus der UN- Behindertenrechtskonvention vor und zeigten auf, dass diese bis heute nur mangelhaft umgesetzt werden. Die Teilnehmenden teilen Ihre Erfahrungen zur Diskrepanz zwischen Theorie und Praxis. So fällt es z. B. oftmals schwer, überhaupt (Sport- und Bewegungs-) Angebote zu finden. Zudem stellen z. B. der Mangel an ausgebildeten Trainerinnen und Trainern, fehlende finanzielle Unterstützung, bis hin zu Mobilitätsproblemen der Betroffenen Zugangshindernisse dar. Förderlich könnte laut den Ideen der Teilnehmenden eine allgemeine Übersicht zu Sport-Angeboten, die Schaffung von Fortbildungsmöglichkeiten für Trainerinnen und Trainer, eine regelmäßige Infoweitergabe zu Angeboten sowie die Unterstützung von Seiten der Politik sein. Zudem wäre eine flächendeckende bundesweite kostenlose rechtliche Beratung wünschenswert. Schon früh im Workshop wurde jedoch deutlich: „Ein Budget für Freizeit gibt es nicht“, aber seit 2009 gilt die UN-Behindertenrechtskonvention mit dem Bundesteilhabegesetz und den Eingliederungshilfen. Es gibt Mittel und Wege, Schritt für Schritt ein Budget für Freizeit zu generieren, dazu benötigt es jedoch oft eine kreative Lösung und jemanden der sich dafür einsetzt, denn „es ist zäh, aber es geht!“.
Um die „Förderung der Gesundheit und Lebensfreude durch Bewegung und Spiel – auch für schwer beeinträchtigte Menschen“ ging es im zweiten Workshop, der vom Sozialpädagogen, Sportlehrer und Motopädagogen Franz Doser, geleitet wurde. Dabei lernten die Teilnehmenden aktiv unterschiedliche Übungen mit verschiedenen Materialien, wie z. B. Bällen, (Spring-)Seilen und Sandsäcken und weiteren Alltagsgegenständen, kennen. Ganz nach dem Motto „Sport ist für alle da – alle können mitmachen, auch ohne besondere Voraussetzungen“ erhielten die Teilnehmenden verschiedene Hinweise, wie die einzelnen Übungen für schwer beeinträchtigte Menschen angepasst werden können. Besonders wichtig in der Arbeit mit schwer beeinträchtigten Menschen ist dabei, „nicht jedes Mal etwas Neues zu machen und sich auf das Tempo der Teilnehmenden einzulassen“. Zudem gilt: weniger ist mehr – zu Beginn können schon zehn Minuten vollkommen ausreichen. Abschließend gab Herr Doser den Workshopteilnehmenden das Buch „In Bewegungsrunden aktivieren: Ideen und Anregungen aus der Psychomotorik“ von Marianne Eisenburger, Elisabeth Gstöttner und Thesi Zak als Leseempfehlung mit auf den Weg.
Wie „Inklusion im Sportverein am Beispiel der ID-Judo Gruppe des TV 1848 Erlangen“ gelingen kann und worauf es dabei ankommt, berichtete Marina Müller, Judotrainerin für Menschen mit geistiger und mehrfacher Beeinträchtigung und ehrenamtliche Nationale Koordinatorin Judo beim Special Olympics Deutschland e. V. im dritten Workshop. Zu Beginn rüttelte Frau Müller die Teilnehmenden mit drei schockierenden Zahlen wach: „nur 7 % der Sportvereine sind inklusiv, 55 % der Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung und 93 % der Menschen mit geistiger Behinderung treiben keinen Sport“. Damit Inklusion im Sportverein gelingen kann, benötigt es z. B. Aufklärung im Verein, Sport-Equipment, zugängliche Sportstätten, angepasste Trainingszeiten und Vereinsbeiträge, kompetente Trainerinnen und Trainer sowie ehrenamtliche Helferinnen und Helfer, Kooperationen und viel Werbung für das Sportangebot. Doch auch wenn ein Verein vermeintlich alles richtig macht, kann es trotzdem sein, dass die Resonanz der Zielgruppe ausbleibt. Die Gründe dafür sind vielschichtig und individuell. Frau Müller betonte dabei, „dass wir individuelle Lösungen für jede und jeden finden müssen und wir jede und jeden mit offenen Armen in unseren Verein aufnehmen“.
Präsentation: „Inklusion im Sportverein TV 1848 Erlangen“, Marina Müller, TV 1848 Erlangen
Mit dem Lied und der Textzeile „(Because I′m) happy“ von Pharrell Williams und dem gegenseitigen Zuspielen von Luftballons wurde der vierte Workshop „Gesundheit & Spaß – Bewegung im Alltag – mit Fokus auf Menschen mit geistiger Beeinträchtigung“ eröffnet. Gestaltet wurde der Workshop von Barbara Dengler, Referentin für Selbst-Vertretung beim Lebenshilfe Landesverband Bayern e. V. und Michi Schmelzer, Leitung Healthy Athletes® – Gesunde Athleten beim Special Olympics Bayern e. V. Gemeinsam sammelten die Workshopteilnehmenden, was benötigt wird, damit sich bewegt werden kann. Als essenziell wurden das Herz, Muskeln, Knochen, Nerven, Koordination, Motivation, Gleichgewicht, Ausdauer, Kraft und Beweglichkeit zusammengetragen. Zudem arbeiteten die Teilnehmenden Tipps heraus, wann und wie sich im Alltag bewegt werden kann: von Treppensteigen, statt die Rolltreppe oder den Fahrtstuhl nutzen, über zu Fuß gehen oder mit dem Fahrrad fahren, bis hin zu sich beim Zähneputzen auf ein Bein stellen oder sich beim Gähnen strecken, war für jede und jeden etwas dabei. Zum Abschluss erhielten alle Teilnehmenden noch einen „Reminder” für zuhause: „Hast du dich heute schon bewegt? Tu Dir was Gutes!“
„Mehr Zusammenarbeit & Menschenverstand“ – eine Podiumsdiskussion rundet den Fachtag ab
Zum Abschluss interviewten Frau Fischer, Projektleitung „Alles was Recht ist“ am Zentrum für selbstbestimmtes Leben Behinderter e. V. und ehemalige Goalball-Nationalspielerin und Max Kühnreich, Athletensprecher im Athletenrat des Special Olympics Bayern e. V. und Athlet der Hochfränkischen Werkstätten Hof Dieter Bunsen, Bezirksvorsitzender und Präsidiumsmitglied des Bayerischen Landes-Sportverbands e. V. (BLSV) und den international erfolgreichen Paraschwimmer Josia Topf der Schwimmsportgemeinschaft 1981 Erlangen (SSG 81).
Dabei berichtete Dieter Bunsen zur aktuellen Situation im organisierten Sport und den Vorteilen von inklusiven Angeboten in Vereinen. Dabei betonte er, dass „die Freude, die dabei zu erleben ist, unbezahlbar ist“. Seiner Meinung nach müssen „inklusive Projekte noch stärker an die Öffentlichkeit getragen werden“ und diese dürfen nicht nur „ab und zu stattfinden, sondern es muss viel mehr Aktionen geben“. Mit Blick in die Zukunft verriet er, dass neben finanzieller Unterstützung, barrierefreien Sportstätten, einer engen Zusammenarbeit zwischen Vereinen und der Kommune vor allem gesunder Menschenverstand eingesetzt werden muss, damit im organisierten Sport eine dauerhafte Öffnung für Menschen mit Beeinträchtigung gelingen kann.
Josia Topf teilte seine Erfahrungswerte als aktiver Athlet und berichtete dabei, welche Bedeutung Sport und Bewegung für ihn haben: „Sport bedeutet sehr viel für mich: er hat nur großartiges in meinem Leben bewirkt“. Außerdem sprach er über die Erfahrung in seinem Sportverein: „der Verein hat das Wort Inklusion gar nicht gebraucht, ich durfte einfach immer dabei sein. Wir machen immer ganz viel Zirkus um das Wording, aber letztendlich ist es wichtig, dass wir den Menschen sehen“. Für die Zukunft wünscht sich Josia Topf „mehr Bewusstsein für inklusiven Sport“. Herr Topf berichtete dabei, dass die Barrieren noch immer überwiegend in den „Köpfen der Menschen“ verankert sind und es für ein nachhaltiges Umdenken die Zusammenarbeit von Vereinen, Einrichtungen und der Kommune braucht.
Ihre Hinweise:
- Inklusives Bewegungsprojekt „Fit für Vielfalt – Bewegung für alle!“ der Stadt Nürnberg und dem BLSV
- Fortbildungsangebot „Sportangebote inklusiv gestalten” am 26. und 27.09.2025 vom Special Olympics Bayern e. V.
Haben Sie Fragen zur Arbeit der Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit Bayern? Vielleicht möchten auch Sie Aktivitäten oder Projekte zur Förderung der gesundheitlichen Chancengleichheit ins Leben rufen? Wenden Sie sich gerne an das Team der KGC Bayern. Mehr Informationen finden Sie hier.