Seit 50 Jahren setzt sich die Landeszentrale für Gesundheit in Bayern e. V. (LZG Bayern) für Gesundheitsförderung und gesundheitsbezogene Prävention in unterschiedlichen Lebenswelten ein. Dieses Jubiläum nahm die LZG Bayern zum Anlass, um zum einen auf den Wandel in der Prävention zurückzublicken und zum anderen das Thema der Erreichbarkeit Jugendlicher in schwierigen Lebenslagen in den Fokus zu nehmen. Am 11.03.2024 fand die Jubiläumsveranstaltung „Prävention im Wandel von 50 Jahren LZG Bayern“: „Wie erreichen wir Jugendliche in schwierigen Lebenslagen für Gesundheitsthemen? – Vom ‚erhobenen Zeigefinger‘ zur Zusammenarbeit in deren Lebenswelt“ im Tagungszentrum Kolpinghaus in München statt. Etwa 150 Mitglieder, Begleiterinnen und Begleiter, sowie Haupt- und Ehrenamtliche unter anderem aus den Bereichen Prävention, Gesundheitsförderung, Soziale Arbeit, Politik und Kommunalverwaltung trafen mit großer Vorfreude ein.

Rita Wüst, Leitung des Projekts teamw()rk für Gesundheit und Arbeit und Moderatorin der Veranstaltung, begrüßte die Teilnehmenden und Herrn Dr. Winfried Brechmann herzlich. „50 Jahre Landeszentrale für Gesundheit, das ist schon ein ganz schönes Zeitalter“, leitete der Amtschef des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit, Pflege und Prävention (StMGP) sein Grußwort ein. Dr. Winfried Brechmann betonte die Relevanz des Themas und sprach seine Freude aus, die Veranstaltung im Rahmen der Gesundheitsinitiative Gesund.Leben.Bayern. finanziell unterstützen zu können. Um Menschen zu helfen, benötigt es Maßnahmen vom Staat, aber insbesondere auch das Engagement der Akteurinnen und Akteure ist hierfür relevant: „Damit das alles gelingt, brauchen wir Sie – Ihre Ideen, Ihre Tätigkeit, deshalb lade ich Sie ein, an diesem Masterplan mitzuwirken.“

„Vom erhobenen Zeigefinger zur Orientierung an der Lebenswelt“

„Was war vor 50 Jahren?“ Diese Frage beantwortete Prof. Dr. Heiner Vogel, Vorsitzender der LZG Bayern, indem er in seinem Vortrag auf den Wandel der Prävention blickte. Am 06.04.1973 wurde die Landeszentrale für Gesundheitsbildung e. V. mit dem Gründungsvorsitz Prof. Dr. Joseph Baudrexel gegründet. Der damalige Schwerpunkt lag auf der Abschreckung vor gesundheitsriskantem Verhalten durch beispielsweise die Raucherpuppen „Raucher-Liesl“ und „Raucher-Max“. Dieser Ansatz des „erhobenen Zeigefingers“ wandelte sich im Zuge der Ottawa Charta und des seit 1997 neuen Vorsitzenden Prof. Dr. Johannes Gostomzyk: „Gesundheit wird von den Menschen geprägt, die sie leben und von der Region, in der sie sich ereignet!“ Neben der Verhaltensprävention, rückte nun auch die Berücksichtigung der Verhältnisse der unterschiedlichen Lebenswelten in den Fokus. Insbesondere die Gesundheitsförderung von Menschen in schwierigen Lebenslagen mit dem Ziel „Gleiche Chance auf Gesundheit für ALLE!“ ist ein zentrales Thema der LZG Bayern.

Präsentation: „Prävention im Wandel von 50 Jahren LZG Bayern“, Prof. Dr. Heiner Vogel

„DIE Jugend gibt es nicht!“

Dr. Anne Berngruber, stellvertretende Fachgruppenleitung Lebenslagen & Lebensführung Jugendlicher des Deutschen Jugendinstituts e. V. in München, hielt den ersten spannenden Fachvortrag der Veranstaltung zu Lebenslagen und Gesundheitsverhalten junger Menschen. Bereits zu Beginn erläuterte die Wissenschaftlerin, dass das Gesundheitsverhalten „dieser Jugend von heute“ nicht in allen Bereichen riskanter ist als früher, wie es der Teaser vieler Schlagzeilen behauptet. Denn bei beispielsweise einigen gesundheitsriskanten Stoffen, wie Alkohol und Tabak, ist ein Rückgang des Konsums zu erkennen. Gesundheitsförderliches Verhalten, wie sportliche Aktivität, sinkt mit steigendem Alter der jungen Menschen. Die Lebensphase Jugendlicher ist von einigen Herausforderungen, wie der Ablösung von den Eltern, „Erste Male“ und körperlichen Veränderungen geprägt. In dieser „Rush-hour“ des Lebens entwickeln Jugendliche eigene Wertvorstellungen und fragen sich: „Wer bin ich eigentlich, was möchte ich und wo will ich hin?“ Dr. Anne Berngruber wies auf die Relevanz der Berücksichtigung der Vielfalt der jugendlichen Lebenswelten hin, denn: „DIE Jugend gibt es nicht!“ Insbesondere auch junge Menschen in schwierigen Lebenslagen sollten in den Fokus rücken. Die Wissenschaftlerin erläuterte abschließend, dass Jugendliche bei ihren Stolpersteinen und Umwegen unterstützt werden sollten und Erwachsenwerden nicht als linearer Prozess angesehen werden sollte: „Jede Krise ist eine Chance!“

Präsentation: „Erwachsenwerden heute – Lebenslagen und Gesundheitsverhalten junger Menschen“, Dr. Anne Berngruber

„Das wesentlichste Merkmal ist die Niedrigschwelligkeit!“

Im zweiten bereichernden Fachvortrag der Jubiläumsveranstaltung stellte Jörg Marschall, Bereichsleiter Arbeitswelt & Prävention des IGES Instituts in Berlin, mögliche Ansätze zu Erreichbarkeit Jugendlicher ohne Schul- und/oder Berufsschulabschluss für Gesundheitsförderung vor. Diese vulnerable Personengruppe ist laut Jörg Marschall „höchst divers, hat aber einen sozialen Nenner, dass sie schwer zu erreichen, schwer zu beraten sind.“ Spezifische Ansätze sind notwendig, um einen Zugang für gesundheitsförderliche und präventive Maßnahmen zu erlangen. Insbesondere Angebote, in denen Themen der Gesundheitsförderung „hineingeschmuggelt“ werden, sind vielversprechend. Wesentlich sind außerdem die Freiwilligkeit und Niedrigschwelligkeit. Der Ansatz der aufsuchenden Arbeit wird nach der Literaturübersicht des IGES Instituts am häufigsten angewandt. Dies kann beispielsweise über einen Beratungsbus oder durch Straßensozialarbeiterinnen und -arbeiter erfolgen. Eine weitere Zugangsmöglichkeit bieten Institutionen oder Orte, an denen Jugendliche sich aufhalten, wie Jugendzentren, Jobcenter oder Schulen. Abschließend motivierte der Bereichsleiter, dass es erfolgreiche Strategien gibt, um junge Menschen für Gesundheitsförderung zu erreichen.

Präsentation: „Zugangswege zu Jugendlichen und jungen Erwachsenen ohne Schul- und/oder Berufsschulabschluss für Gesundheitsförderung – Ergebnisse eines systematischen Reviews“, Jörg Marschall

„Partizipation ist für die Motivation Jugendlicher sehr wichtig!“

Nach der Mittagpause mit einem intensiven Austausch, hatten die Teilnehmenden in drei verschiedenen Workshops die Möglichkeit, Good Practice-Projekte für mögliche Zugangswege kennenzulernen und verschiedene Themen angeregt zu diskutieren. Im ersten Workshop stellte Simone Habel vom Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e. V. gemeinsam mit Nina Vischer von der LZG Bayern als Moderatorin das Projekt „Erwachsenwerden leicht gemacht“ vor. Das Modellprojekt wurde auf Basis der sechsten Phase der AWO-ISS-Langzeitstudie entwickelt. Ziel des Modellprojekts ist es, Jugendliche in schwierigen Lebenslagen bei Entwicklungsaufgaben des Erwachsenwerdens zu unterstützen und ihnen Wege aus Armutskontexten zu ermöglichen. Denn insbesondere armutsbetroffene junge Menschen haben einen erhöhten Bedarf an Unterstützung. Hierzu werden im Schulsetting wöchentlich in Arbeitsgruppen Aspekte, wie soziale Beziehungen, soziale Ungleichheit, Gesundheit und Umgang mit Finanzen thematisiert. Die Planung der Arbeitsgruppen, ihrer Themen sowie die Evaluation dieser erfolgte unter Einbezug von Schülerinnen und Schülern mittels Gruppeninterviews: „Durch das Projekt habe ich einen Überblick bekommen und das Gefühl, dass ich alles schaffen kann.“ Die Vermittlung der Themen erfolgte durch externe Referierende, um den Jugendlichen eine vertrauensvolle Atmosphäre zu vermitteln. Im Anschluss an die Vorstellung des Projekts diskutierten die Teilnehmenden des Workshops in Kleingruppen unter anderem, welche Zugänge für Jugendliche bislang bestehen und welche Möglichkeiten zur Partizipation von Jugendlichen genutzt werden können. Beispielsweise gibt es das Kinder- und Jugendforum in München und die Münchner Mädchenkonferenz.

Weiterführende Informationen: Abschlussbericht von „Erwachsenwerden leicht gemacht!“

„Ich finde es gut, dass Menschen schauen, wie es einem geht!“

Katrin Maria Friesenbichler und Mag. Petra Zykan der Wiener Gesundheitsförderung leiteten einen weiteren Workshop, in dem sie von der „Jugendgesundheitskonferenz“ berichteten. Das Projekt bietet Jugendlichen in Settings wie Schulen und offene Jugendarbeit die Möglichkeit, auf kreative und partizipative Weise mittels Workshops eigene Projekte und Ideen zum Thema Gesundheit zu verwirklichen. Diese Konzepte werden anschließend auf der Jugendgesundheitskonferenz vorgestellt. Der Veranstaltungstag ist geprägt von einer Bühnenshow mit Tanzeinlagen, interaktiven Stationen und Workshops von Jugendlichen für Jugendliche, wie Chillout-Zonen oder Yoga-Einheiten. Ziel ist es, die Gesundheitskompetenz sowie das Gefühl von Selbstwirksamkeit und Eigeninitiative von Jugendlichen, insbesondere der vulnerablen Personengruppen, zu stärken. Aber auch die Erweiterung des Wissens von Multiplikatorinnen und Multiplikatoren sowie die Vernetzung ist ein Ziel des Projekts. Die Evaluation der Jugendgesundheitskonferenz in Wien zeigte die Relevanz des partizipativen Vorgehens: „Am besten hat mir gefallen, dass wir ein Teil davon waren, dass es nur für Jugendliche war.” Zum Abschluss diskutierten die Teilnehmenden des Workshops in Murmelgruppen unter anderem, welche Erfahrungen sie zur Erreichung von Jugendlichen mitbringen. Dabei wurden beispielsweise die Relevanz von Schlüsselpersonen als Türöffner und ein gutes Netzwerk genannt.

Präsentation: „Jugendgesundheitskonferenz – Das Wiener Modell für partizipative Jugendgesundheitsförderung“, Katrin Maria Friesenbichler, Mag. Petra Zykan

„Glücksspieler sind Meister darin zu verbergen, dass sie spielen.“

Im dritten Workshop der Jubiläumsveranstaltung lernten die Teilnehmenden das Projekt „Spielfieber“ kennen. Dipl. Soz.-Päd. Daniel Ensslen der Aktion Jugendschutz Bayern e. V. präsentierte das interaktive Computerspiel „Spielfieber – der Countdown läuft…“, durch das Jugendliche für das Thema des problematischen Umgangs mit Glücksspielen sensibilisiert werden sollen. Laut dem Dipl. Sozialpädagogen ist es für die Prävention von Glücksspielsucht wichtig, frühzeitig anzusetzen und die Jugendlichen da abzuholen, wo sie stehen. Dies kann beispielsweise durch Partizipation und Erfahrungen von Peers erfolgen. Zur Entwicklung des Spiels wurden Workshops mit Jugendlichen durchgeführt, um ihre Interessen und Einstellungen zu berücksichtigen. Die Evaluation des Computerspiels zeigte, dass insbesondere Jugendliche der Gesamt- und Realschule mit Migrationshintergrund erreicht wurden. Um eine konkrete Vorstellung des Projekts zu erhalten, wurden die Teilnehmenden des Workshops auch selbst aktiv und testeten gemeinsam mit Daniel Ensslen das Spiel. Die Hauptrolle, die den Namen Rudi erhielt, wurde von den Teilnehmenden von der Spielhalle, über den Spielautomat zur Suchtberatung und dem Erarbeiten von Geld in einem Supermarkt geführt. Die Entscheidungen wurden dabei von den unterschiedlichen Einstellungen des Engels und des Teufels geprägt. Abschließend betonte Dipl. Soz.-Päd. Daniel Ensslen: „Es ist keine gute Strategie, zu dramatisieren und stigmatisieren. Stattdessen sollten Jugendliche in ihrer Eigenverantwortung gestärkt werden.“

Präsentation: „Spielfieber – Jugendliche da abholen, wo sie sich aufhalten!“, Dipl. Soz.-Päd. Daniel Ensslen

Landeszentrale für Gesundheit in Bayern als Partner für gemeinsame Initiativen

Eine gelungene Abrundung der Jubiläumsveranstaltung erfolgte durch Andrea Wolff, Geschäftsführerin der LZG Bayern, durch einen Blick in die Zukunft der Gesundheitsförderung und Möglichkeiten der Unterstützung von Akteurinnen und Akteuren. Beratung bei der Entwicklung von Maßnahmen und Konzepten bietet beispielsweise das an der LZG Bayern angesiedelte Projekt „Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit”. „teamw()rk für Gesundheit und Arbeit” ist ein weiteres Projekt der Geschäftsstelle, welches die Gesundheitsförderung von Menschen in Arbeitslosigkeit unter anderem durch die Planung kostenloser Gesundheitskurse und die Beratung von Mitarbeitenden an Agenturen für Arbeit oder Jobcentern unterstützt. Die LZG Bayern kann außerdem Partner für eine gemeinsame Entwicklung von Gesundheitsprojekten über alle Altersgruppen und soziale Lagen hinweg sein. Insbesondere das über die Jahre aufgebaute Netzwerk ist hierbei ein großer Mehrwert. Abschließend betonte Andrea Wolff: „Gesundheitsförderung mit schwer erreichbaren Bevölkerungsgruppen braucht immer einen langen Atem und vor allem viele Partner! Gemeinsam können wir hier weitere Schritte in die richtige Richtung gehen und wiederum Vorbild für Nachahmer aus ganz Bayern sein.“

Die erfolgreiche Jubiläumsveranstaltung der LZG Bayern endete mit einem Get-together und einem gemeinsamen Austausch zu zukünftigen Möglichkeiten im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung.

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