Breites Interesse an der Thematik

Am 11.06.2024 führte die Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit Bayern (KGC Bayern) einen Fachtag zu Gesundheitsförderung und Prävention in ländlichen Regionen in Nürnberg durch. Die Moderatorin Regina Köpf, Referentin der KGC, hieß knapp 100 Akteurinnen und Akteure aus ganz Bayern in der Kulturwerkstatt Auf AEG in Nürnberg willkommen.

Grußworte

Zu Beginn der Veranstaltung begrüßte die Staatsministerin für Gesundheit, Pflege und Prävention Judith Gerlach die Teilnehmenden in Form einer Videobotschaft. Darin sprach sie allen Anwesenden ihre Anerkennung für das große Engagement aus und wies auf das wichtige Thema Gesundheitsförderung im ländlichen Raum hin. Sie betonte unter anderem einige Unterschiede zwischen Stadt und Land sowie die Wichtigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit. Als nächstes stimmte Prof. Heiner Vogel, Vorstandsvorsitzender der Landeszentrale für Gesundheit in Bayern e. V. (LZG Bayern) auf das Tagesthema ein und erzählte unter anderem aus eigener Erfahrung aus Kindheit und Jugend, welche Besonderheiten der ländliche Raum birgt. Das dritte Grußwort hielt Stefan Adelsberger von der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG), der später auch als Referent in einem Workshop sprach und somit eine Doppelrolle auf der Veranstaltung einnahm.

Wo ist der ländliche Raum in Deutschland?

Mit dieser und weiteren Fragen klärte Prof. Dr. Christian Weidmann von der Hochschule Furtwangen, dass es im deutschlandweiten Vergleich sehr viele ländliche Gebiete und wenige nicht-ländliche Gebiete gibt. Die Bevölkerung in ländlicher Lage in Nordbayern verfügt im Allgemeinen über einen vergleichsweise niedrigen sozioökonomischen Status, der mit besonderen sozialen und gesundheitlichen Bedarfen einhergeht. Laut unterschiedlicher sozialepidemiologischer Daten weisen Menschen im ländlichen Raum ein höheres Durchschnittsalter, ein niedrigeres Bildungsniveau, eine höhere Erkrankungshäufigkeit und ungünstigere gesundheitsbezogene Einstellungen als im städtischen Raum auf. Dem steht eine ausgeprägtere soziale Unterstützung im ländlichen Raum entgegen. Beispielsweise geben Menschen, die im ländlichen Raum wohnen an, leichter Hilfe von Nachbarn zu erhalten als Menschen, die im städtischen Umfeld wohnhaft sind. Des Weiteren ging Prof. Dr. Christian Weidmann auf Ursachen der gesundheitlichen Benachteiligung im ländlichen Raum wie zum Beispiel Infrastrukturmangel ein. Insgesamt lassen sich Unterschiede in der Gesundheit und im Gesundheitsverhalten durch Faktoren der natürlichen Umwelt, der physisch bebauten Umwelt und der psychosozialen und ökonomischen Umwelt zurückzuführen, die sich in einem von ihm vorgestellten Gesundheitsmodell beschreiben lassen. Abschließend zeigte er Ansatzpunkte zur Gesundheitsförderung im ländlichen Raum und beantwortete einige Fragen aus der interessierten Teilnehmerschaft. Die entsprechend der Fragen aktualisierte Präsentation stellen wir Ihnen nachfolgend zur Verfügung.

Präsentation: Gesundheitsförderung, Prävention und Gesundheitliche Chancengleichheit in ländlichen Regionen”, Prof. Dr. Christian Weidmann, Hochschule Furtwangen

Spontane Bewegungspause

Bei der Anmoderation des nächsten Vortrags zur Bewegungsförderung im ländlichen Raum wurde mit dem Ausruf „Apropos Bewegungsförderung!“ von einer Teilnehmerin der Wunsch nach einer kurzen Bewegungspause geäußert. Mit einer spontanen Koordinationsübung im Stehen ging die Moderatorin dem Wunsch nach und ermutigte alle Teilnehmenden zu einer Aktivierungseinheit, um frisch in den zweiten Fachvortrag zu starten.

Bei uns läuft das anders!

Anschließend gingen Dr. Maike Till und Tobias Fleuren von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg anhand einer aktuellen wissenschaftlichen Erhebung zu Bewegungsförderung in sehr ländlichen Regionen auf die Zuständigkeiten für Bewegungsförderung, auf Förderfaktoren und Barrieren sowie auf die Bedarfe für gelungene Bewegungsförderung ein. Die Ergebnisse der Erhebung untermalte Tobias Fleuren mit zahlreichen Erfahrungen aus den Projekten BIG-5 und GESTALT – Get 10, welche die beiden Referierenden selbst koordinieren. Die zwei Projekte werden jeweils sowohl an städtischen als auch an ländlichen Standorten umgesetzt, wodurch in den Projektteams ein großer Erfahrungsschatz über die Unterschiede zwischen Stadt und Land bezüglich der Umsetzung von Bewegungsförderung gewonnen werden konnte. Einige Rückfragen der Teilnehmenden ließen erkennen, dass an vielen Orten die gleichen Schwierigkeiten gemeistert werden müssen wie beispielsweise die Zuständigkeiten, fehlendes interdisziplinäres Engagement oder die Erfüllung hoch aufgehängter Förderkriterien.

Präsentation: Bei uns läuft das anders! Bewegungsförderung im ländlichen Raum – Erkenntnisse aus Wissenschaft und Praxis”, Dr. Maike Till und Tobias Fleuren, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Nach dem Vortrag ging es für alle in die wohlverdiente Mittagspause mit guten Gesprächen und der Möglichkeit der Vernetzung untereinander. Die Referierenden des Vormittags standen in dieser Zeit für Rückfragen, Anregungen und Austausch zur Verfügung. Im Anschluss verteilten sich die Anwesenden auf drei parallel stattfindende Workshops, die anhand des Bayerischen Präventionsplans in die verschiedenen Lebensphasen aufgeteilt wurden. Im Fokus der Workshops stand insbesondere der Bezug zu gesundheitlicher Chancengleichheit und die Umsetzung im ländlichen Raum mit ihren Herausforderungen und Chancen.

Gesundes Aufwachsen – „Die Euphorie und Motivation der Kinder & Jugendlichen hat sämtliche Hürden überwunden und Politik und weitere Unterstützende überzeugt”

Im Workshop Gesundes Aufwachsen stellten Dr. Jana Semrau von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Julia Dauer vom Landratsamt Schmalkalden-Meiningen das Praxisbeispiel KOMBINE am Standort Meiningen vor. Dr. Jana Semrau ging zunächst auf den Kontext, die Ziele und die unterschiedlichen Projektphasen ein. Im Fokus standen die modellhafte Umsetzung der Nationalen Empfehlungen für Bewegung und Bewegungsförderung, die Entwicklung und Erprobung innovativer Ansätze der Bewegungsförderung in der Kommune mit Fokus auf gesundheitlicher Chancengleichheit sowie der interaktive Austausch von Wissenschaft und Praxis. Im Anschluss daran berichtete Julia Dauer über die Umsetzung des Projektes im Landkreis Schmalkalden-Meiningen anhand verschiedener Maßnahmen für Kinder und Jugendliche. Besonders herausragend ist der Bikepark Steinbach-Hallenberg, den Kinder und Jugendliche auf Eigeninitiative erbaut haben und der im Nachgang mit Unterstützung der Gemeinde und Eltern an einem anderen Ort „offiziell“ eingerichtet wurde. Julia Dauer zeigte ebenso die Veränderungen durch das Projekt, die Herausforderungen und die Lösungsansätze auf. In der nachfolgenden Diskussion über die Übertragbarkeit der Erfahrungen aus dem Landkreis Schmalkalden-Meiningen auf andere ländliche Regionen in Bayern wurden verschiedene Lösungsansätze und Förderfaktoren zusammengetragen, beispielsweise unterschiedliche Motivationsstrategien wie Zielgruppengespräche und die aktive Ansprache aus den Communities heraus.

Präsentationen: Implementierung der Nationalen Empfehlungen zur Bewegungsförderung in ländlichen Kommunen: Das Modellprojekt KOMBINE”, Dr. Jana Semrau, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

„KOMBINE im Landkreis Schmalkalden-Meiningen”, Julia Dauer, Landratsamt Schmalkalden-Meiningen

Gesund im mittleren Lebensabschnitt – „Es gibt nicht die eine Lösung, wie wir Menschen im ländlichen Raum erreichen”

Im Workshop Gesund im mittleren Lebensabschnitt stellten Stefan Adelsberger von der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau und Dr. Ingrid Titzler von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg das telefonische Einzelcoaching aus der Kampagne „Mit uns im Gleichgewicht” vor. Das telefonische Einzelfallcoaching stellt ein Hilfsangebot bei psychischen Belastungen und in Krisenzeiten über eine Laufzeit von 6 Monaten für Menschen in „grünen” Berufen dar. Stefan Adelsberger betonte, dass der telefonische Kontakt viel lieber in Anspruch genommen wird, obwohl anonyme Anliegen auch per Mail formuliert werden können. Dennoch werden die Menschen häufig erst viel zu spät mit diesem präventiven Angebot erreicht. In der Gruppe wurde daran anschließend über die Enttabuisierung von psychischen Problemen nicht nur in der Landwirtschaft gesprochen. Dr. Ingrid Titzler stellte die Evaluationsergebnisse der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg zu diesem Praxisbeispiel vor und verdeutlichte anhand der Datenlage, dass durch das Angebot eine Verringerung der depressiven Symptomschwere erfolgen konnte. Da mit dem telefonischen Einzelcoaching insbesondere auch viele Männer im mittleren Lebensabschnitt erreicht werden konnten, wurde anschließend eine Übertragbarkeit und Ausweitung dieses Angebots auf verschiedene andere Zielgruppen diskutiert.

Präsentation: Mit uns im Gleichgewicht – Angebote zur seelischen Gesundheit”, Stefan Adelsberger, Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau und Dr. Phil. Ingrid Titzler, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Gesundes Altern – „Man kennt sich halt”

Der Workshop Gesundes Altern griff nochmal das bereits am Vormittag angesprochene Projekt GESTALT – Get 10 auf. Die Gemeinde Weiherhammer ist mit unter 4000 Einwohnern die kleinste Gemeinde, die das GESTALT-Projekt bisher umgesetzt hat. Zu Beginn des Workshops stellte Tobias Fleuren das GESTALT-Projekt im Allgemeinen kurz und knapp vor. Anschließend wurden die Erfolgsfaktoren und Stolpersteine bei der Umsetzung in Weiherhammer von der Projektkoordinatorin Susanne Martin vor Ort mitreißend dargestellt. Gerade im Vergleich zu anderen GESTALT-Kommunen, die eher städtisch geprägt sind, konnten einige Unterschiede herausgearbeitet werden. Eine der ersten Hürden für Susanne Martin war es beispielsweise, überhaupt geeignete Übungsleitungen für die Bewegungskurse zu rekrutieren. Als Lösung absolvierte sie die Übungsleiterlizenz einfach selbst, denn der Kontakt zur Zielgruppe fiel ihr sehr leicht. „Man kennt sich halt” – Susanne Martin ist sich sicher, dass das Projekt und die Bewegungskurse nicht so gut angenommen worden wären, wenn sie nicht so gut in der Gemeinde bekannt gewesen wäre. Aufgrund vieler bestehender Kontakte war die Hemmschwelle zur Teilnahme für die älteren Menschen deutlich herabgesetzt. Zudem setzte Frau Martin verstärkt auf Mundpropaganda. Zum ersten Kurs erschienen hauptsächlich die Älteren, die eh schon eher aktiv und engagiert sind. Im weiteren Verlauf des Projektes wurde genau die Zielgruppe erreicht, die erreicht werden sollte: Ältere Menschen in Weiherhammer, die bisher kaum körperlich aktiv sind, weniger soziale Kontakte haben und von klassischen Bewegungs- und Gesundheitsangeboten bisher nicht erreicht wurden. Anhand dieser Erfahrungen wurden im Rahmen des Workshops gemeinsam mit den Teilnehmenden weitere Möglichkeiten der Erreichbarkeit und der Umsetzung von Angeboten der Gesundheitsförderung und Prävention in ländlichen Regionen diskutiert. Trotz der weiterhin bestehenden Herausforderungen wurde sich im Workshop vor allem auch auf die positiven Aspekte der Gesundheitsförderung im ländlichen Raum gestützt.

Präsentation: GESTALT – GEhen, Spielen und Tanzen Als Lebenslange Tätigkeiten” Tobias Fleuren, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Susanne Martin, Gemeinde Weiherhammer

Ihre KGC als Beratungs- und Vernetzungsstelle

Nach kurzen Zusammenfassungen aus den Workshops übergab die Moderatorin das letzte Wort an Andrea Wolff, Leiterin der KGC Bayern. Sie berichtete, dass der Austauschbedarf zu Gesundheitsförderung in ländlichen Regionen aus früheren Veranstaltungsevaluationen der KGC Bayern ersichtlich wurde. Daraus entstand die Idee, Akteurinnen und Akteure zusammenzubringen und ihnen eine Gesprächsplattform sowie wissenschaftlichen und praktischen Input zu dem Thema zu bieten. Andrea Wolff schilderte ihre Eindrücke zum Veranstaltungstag und ermutigte dazu, sich der Gesundheitsförderung und Gesundheitlichen Chancengleichheit in ländlichen Regionen trotz großer Herausforderungen weiterhin zu widmen. Außerdem bot sie Unterstützung seitens der KGC Bayern an: Diese fungiert unter anderem als Anlaufstelle für Beratungen, Schulungen, Vernetzungsmöglichkeiten und für (Kooperations-)Veranstaltungen zu spezifischen Themen. Zum Beispiel richtet die KGC Bayern am 20.09.2024 anlässlich des Weltkindertages eine Onlinefachtagung zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen aus. Mehr Informationen zur Arbeit der KGC finden Sie hier.

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