Siebtes und letztes Fachforum in den Regierungsbezirken

Am 30.03.2023 führte die Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit (KGC) die siebte und damit letzte Veranstaltung zum Thema „Gesundheitliche Chancengleichheit in allen Lebensphasen – Wo stehen wir? Wo wollen wir hin?“ im Regierungsbezirk Oberbayern in Kooperation mit der Regierung von Oberbayern durch. Über 100 Akteurinnen und Akteure aus Oberbayern trafen sich im großen Maximilianssaal des Regierungssitzes. Zum ersten Mal nach der Coronapandemie konnte Moderatorin Alexandra Petzinger die Teilnehmenden wieder in Präsenz begrüßen. An der Veranstaltung nahmen Vertreterinnen und Vertreter der Regierung von Oberbayern, der Stadt- und Kommunalverwaltungen (z. B. Gesundheitsämter, Gesundheitsregionenplus), diverse Vereine, Bildungseinrichtungen (z. B. Schulen, Hochschulen und Universitäten) sowie ehrenamtlich Tätige teil. Die verschiedenen Hintergründe, Motivationen und Tätigkeiten der Teilnehmenden spiegelten somit die große Bedeutung der Thematik wider.

Gesundheitliche Chancengleichheit als vorrangiges Handlungsfeld im bayerischen Präventionsplan

Zu Beginn der Veranstaltung richtete Klaus Holetschek, Staatsminister für Gesundheit und Pflege, sein Grußwort per Videobotschaft an die Teilnehmenden. „Unser Ziel ist es, für bestmögliche Gesundheitsbedingungen zu sorgen, und zwar in allen bayerischen Regionen, in jeder Lebenslage und unabhängig vom sozialen Status, Alter und Bildungsgrad.“ Hierbei betonte Herr Holetschek den Beitrag der Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit zu diesem Ziel und wies auf die Zusammenarbeit der Landeszentrale für Gesundheit in Bayern e. V. (LZG) mit dem Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit hin. „Gut funktionierende Kooperationen sind wertvoll.“, erläuterte Herr Holetschek mit Erwähnung der 135 Partner im Bündnis für Prävention, unter welchen auch die LZG vertreten ist.

„Gesundheit ist die Basis alles menschlichen Agierens“

Als nächstes richtete auch der Regierungspräsident von Oberbayern, Dr. Konrad Schober, das Wort an alle Teilnehmenden im Saal. Das zahlreiche Erscheinen der Gäste zeige, wie wichtig das Thema gesundheitliche Chancengleichheit ist. Herr Dr. Schober verwies auch auf den wachsenden Bedarf hilfebedürftiger Menschen durch die Coronapandemie. Mit dem Ausspruch „Armut kann krank machen und Krankheit kann arm machen“, bekräftigte er den politischen Stellenwert der Thematik und unterstützte gerne die in Kooperation mit der Regierung von Oberbayern organisierte Veranstaltung. Prävention und Gesundheitsförderung, in Bezug auf gesundheitliche Chancengleichheit, verfolge einen demokratischen Ansatz, der sowohl eigeninitiativ als auch gesamtgesellschaftlich betrachtet werden müsse und systemisch ineinandergreifende Maßnahmen erfordere. „Menschen in prekären Situationen zu helfen, ist Hilfe für den Einzelnen und für die Gesellschaft.“, so Herr Dr. Schober. Auch wenn der Regierungsbezirk Oberbayern die höchste Lebenserwartung im Freistaat verzeichne, seien Ungleichheiten bei näherem Hinschauen deutlich sichtbar. Herr Dr. Schober wies auch auf wohnraumabhängige Probleme hin. Verkehrsbelastungen, mangelnder bezahlbarer Wohnraum und wachsende wirtschaftliche Ungleichheiten seien vor allem in Ballungsgebieten ein Problem, während eine sich verschlechternde gesundheitliche Infrastruktur im ländlichen Raum Ungleichheiten verstärke. „Präventions- und Gesundheitskonzepte müssen vor Ort umgesetzt werden, über alle Professionen hinweg.“ betonte Herr Dr. Schober.

„Wir möchten diejenigen unterstützen, die besondere Unterstützung benötigen“

Nachdem Alexandra Petzinger die Gäste im Namen der KGC begrüßte und über den Ablauf des bevorstehenden Veranstaltungstags, sowie über letzte organisatorische Hinweise informierte, leitete Dr. Kathrin Steinbeißer, Referentin der KGC, mit dem ersten Vortrag des Fachforums, in das Thema Gesundheitliche Chancengleichheit ein. Auf die eröffnende Frage, wer der Teilnehmenden von sich selbst glaube, 79,3 Jahre oder älter zu werden und dabei immer noch gesund zu sein, erhob sich über die Hälfte der Personen im Saal. Frau Dr. Steinbeißer sprach von einer „geballten Ladung schwungvoller Menschen in Oberbayern“, zu der jedoch leider nicht jede Person gehöre. Gesundheit werde, neben individuellen personen- und verhaltensbezogenen Faktoren, von der alltäglichen Umwelt und den Verhältnissen in denen gelebt wird geprägt, „… dort, wo Menschen spielen, lernen, arbeiten und lieben“.

Gesundheit ist ungleich verteilt. Personen in schwierigen Lebenslagen, wie beispielsweise Personen mit geringem sozioökonomischem Status, mit schwierigem ethnischem Hintergrund oder sozial isolierte und alleinerziehende Personen sind oft gesundheitlich benachteiligt. „Wir möchten diejenigen unterstützen, die besondere Unterstützung benötigen“, so Frau Dr. Steinbeißer. Mit Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention können zentrale gesundheitliche Herausforderungen, wie Ernährung, Bewegung und psychische Gesundheit angegangen werden. Dabei muss in den Lebenswelten der Personen (z. B. Kommune, Kita, Quartier, Altenheim), beim Verhalten und bei den Verhältnissen angesetzt werden.

Anhand wichtiger „Kriterien Guter Praxis der soziallagenbezogen Gesundheitsförderung“ erläuterte Frau Dr. Steinbeißer Kennzeichen für erfolgreiche Maßnahmen zur Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheiten. Basis eines jeden Vorhabens sei die Definition der Zielgruppe, die „so spezifisch wie möglich“ erfolgen sollte. Aktionen müssten niederschwellig, interessensorientiert, bedarfs- und altersgerecht und nachhaltig konzipiert sein, wofür die direkte Einbeziehung und Bestärkung der Zielgruppe essenziell sei.

Zuletzt dankte Frau Steinbeißer allen Teilnehmenden für ihr reges Interesse, sich für Gesundheitliche Chancengleichheit einzusetzen und das Ziel der Weltgesundheitsorganisation „Gesundheit für Alle“ zu verwirklichen.

Möchten auch Sie Aktivitäten oder Projekte zur Förderung der gesundheitlichen Chancengleichheit ins Leben rufen? Die KGC Bayern unterstützt und begleitet Sie gern bei deren Entwicklung und Durchführung. Mehr Informationen finden Sie hier.

Im Anschluss stellte Iris Grimm, ebenfalls Referentin der KGC Bayern, den Partnerprozess „Gesundheit für Alle“ vor. Der Kooperationsverbund Gesundheitliche Chancengleichheit besteht bereits seit 2003 und setzt sich bundesweit mit 75 Partnerorganisationen für Gesundheitliche Chancengleichheit ein. Der Verbund bietet Kommunen und weiteren Akteuren die Möglichkeit, sich über Strategien zur Gesundheitsförderung und Prävention auszutauschen, voneinander zu lernen und „Menschen, unabhängig ihres Sozialstatus, ein langes und gesundes Leben in ihrer Kommune zu ermöglichen“. Insbesondere findet eine Unterstützung über den Partnerprozess „Gesundheit für alle“ statt, welcher von Frau Grimm vorgestellt wurde. Die Mitgliedschaft ist kostenlos und bietet eine fachliche Begleitung sowie Fortbildungs- und Qualifizierungsangebote. Auch die Organisation und Umsetzung von Fachtagungen wird unterstützt, wobei Frau Grimm von einem praxisnahen Beispiel aus Augsburg zum Thema psychische Gesundheit, mit dem Fokus „Borderline bei Kindern und Jugendlichen“, berichtete. Mehr Informationen zum Partnerprozess „Gesundheit für alle“ finden Sie hier.

Die Präsentation zum Vortrag von Frau Steinbeißer zum Thema „Gesundheitliche Chancengleichheit – Wo stehen wir? Wo wollen wir hin?“ und von Frau Grimm zum Partnerprozess „Gesundheit für alle“ finden Sie hier.

„Wir sind nah an der Lebenswelt der Frauen“ – Donna Mobile

Nach einer kurzen Kaffee- und Brotzeitpause am Vormittag, stellten Feyza Palecek und Klara Paal das erste Praxis-Beispiel, die Gesundheits- und Beratungseinrichtung „Donna Mobile“ vor. Die zertifizierte Bildungseinrichtung setzt sich für eine bessere Gesundheitsversorgung und berufliche Integration von Migrantinnen in München ein.

„Wir gehen zu den Orten, wo die Frauen sich befinden“, erklärte Frau Palecek, die den Verein vor über 30 Jahren gegründet hat. Frau Palecek betonte, dass Isolation bei dieser Zielgruppe sehr dominant sei, sowohl in kultureller und sprachlicher Hinsicht als auch in klinischer und insbesondere psychischer Hinsicht. Multiplikator-/innenarbeit, Interkulturalität und die Einbeziehung der Zielgruppe stehen darum im Mittelpunkt. Mit verschiedensten Angeboten, z. B. Frauen-Cafés, Fachvorträge oder Bewegungsangeboten, setzt sich das diverse, elf Sprachen sprechende Team, bestehend aus Ärztinnen, Psychologinnen, Sporttherapeutinnen und Pädagoginnen, für gesundheitliche Chancengleichheit und Integration ein. Dabei werden stets die Wünsche und Bedürfnisse der Frauen berücksichtigt. „Die jungen Frauen wollten Kickboxen, also gab es Kickboxen und keinen Pilates-Kurs“. Aber auch Schwimm- und Fahrradkurse seien sehr beliebt, berichtete Frau Palecek, „da die Frauen das oft nie gelernt haben“. Fachvorträge sind stets niederschwellig und partizipativ gestaltet, sowie zu aktuellen, für die Frauen relevanten, Themen.

Des Weiteren verwiesen die beiden Referentinnen auf die Ausbildung und Arbeit von Gesundheitslotsinnen, welche in die Stadtteile entsendet werden und die Frauen bei gesundheitlichen Anliegen „muttersprachlich begleiten“. Zuletzt fasste Frau Palecek Donna Mobile wie folgt zusammen, „Wir sind nah an der Lebenswelt der Frauen, wir sind in der Praxis, wir sind interdisziplinär, wir sind gut vernetzt in München und ganz Bayern“.

Die Präsentation zum Vortrag Donna Mobile – Gesundheitsförderung, Prävention, berufliche Qualifizierung und interkulturelle Altenarbeit für mehr soziale, gesundheitliche und berufliche Chancengleichheit von Migrantinnen und Migranten, finden Sie hier.

„Die Kinder spielen jetzt mehr und öfter draußen“ – PAKTan

Das nächste Praxis-Beispiel „PAKTan“ befasst sich mit gesundheitlicher Chancengleichheit in der Lebenswelt Kita. Das Projekt mit dem Titel „Physische Aktivität in Kindertagesstätten altersgerecht nutzen“ wurde von Philipp Hartmannsgruber, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Technischen Universität München, vorgestellt.

Im Rahmen des Projektes wurden Module zur Bewegungsförderung von Kindern mit niedrigem sozioökonomischem Status und Migrationshintergrund entwickelt. Neben Bewegungseinheiten fokussieren die Module auch Entspannung, Wahrnehmung, Konzentration und sozial-emotionale Kompetenzen. Die entwickelten Materialien sollen dabei helfen, tägliche Rituale in der Kita und Zuhause zu implementieren, weshalb das Kitamodul mit einem Elternmodul in Form eines Wissensheftes und Familienhausaufgaben ergänzt ist. „Auch das Bewegungs- und Gesundheitsverhalten außerhalb der Kita ist wichtig“, so Herr Hartmannsgruber. Insgesamt stand bei der Evaluation stets im Fokus, ob das Konzept funktioniert, ob es alltagstauglich ist, ob die Kinder Spaß haben und natürlich, ob sie sich bewegen. „Die Intervention war wirksam. Mehr Kinder verbringen ihre Zeit nun draußen, sowohl die mit niedrigem und die mit hohem sozioökonomischem Status.“ Erfreut berichtete Herr Hartmannsgruber auch, dass die Kinder an Koordinationsaufgaben am meisten Spaß gefunden haben, obwohl im Bereich der Koordination anfangs das größte Defizit bestand. Das Projekt habe Potential, so Herr Hartmannsgruber. Auf die Frage der Nachhaltigkeit antwortete er „Wir arbeiten daran“. Aktuell wurden die Maßnahmen in zwei Kitas der AWO, in Penzberg und Unterföhring, mit 150 Kindern, im Alter von drei bis sechs Jahren, umgesetzt. Ziel sei jedoch eine bayernweite Verbreitung.

Die Präsentation zum Vortrag, PAKTan – Physische Aktivität in Kindertagesstätten altersgerecht nutzen, finden Sie hier.

Fördermöglichkeit für Projekte der soziallagenbezogenen Gesundheitsförderung und Prävention

Zum Abschluss des Vormittags stellte Andrea Wolff, Geschäftsführerin der LZG Bayern, die Landesrahmenvereinbarung Prävention (LRV) Bayern, eine Finanzierungsmöglichkeit für Projekte der Gesundheitsförderung und Primärprävention zur Stärkung Gesundheitlicher Chancengleichheit vor. Die LRV ist eine trägerübergreifende Fördermöglichkeit durch den Freistaat Bayern, sowie durch die Träger der Gesetzlichen Krankenversicherungen, der Deutschen Rentenversicherung und der Gesetzlichen Unfallversicherung. Die Geschäftsstelle der LRV ist bei der LZG angesiedelt. „Wir sind die Brücke zwischen Ihnen und dem Steuerungsgremium der LRV“. Zum Verfahren der Antragstellung und Konzeption sagte Frau Wolff „Es ist nicht ganz einfach“. Die Geschäftsstelle der LRV berät, fördert und unterstützt darum gerne bei der Antragstellung.

Sind auch Sie an einer Projektförderung interessiert? Die Geschäftsstelle LRV unterstützt Akteurinnen und Akteure bei der Projektkonzeption und Antragsstellung. Mehr Informationen zur Förderung über die LRV Bayern finden sie hier.

Die Präsentation zum Vortrag zu „Fördermöglichkeiten gemäß Landesrahmenvereinbarung Prävention Bayern (LRV)“ finden Sie hier.

Am Nachmittag wurden drei verschiedene Workshops angeboten:

  • „Gesundes Aufwachsen“
  • „Gesund im mittleren Lebensabschnitt“
  • „Gesundes Altern“

In den Workshops haben sich die Teilnehmenden über verschiedene Fragestellungen zum Thema gesundheitliche Chancengleichheit ausgetauscht. In Arbeitsgruppen konnten sie die bereits bestehenden Maßnahmen bei sich vor Ort zusammentragen, Bedarfe diskutieren und erste Ideen zur Förderung der gesundheitlichen Chancengleichheit entwickeln.

Die Ergebnisse der drei Workshops finden Sie hier:

Workshop „Gesundes Aufwachsen“

Workshop „Gesund im mittleren Lebensabschnitt“

Workshop „Gesundes Altern“

Mit dem Fachforum Oberbayern wurde deutlich, dass die Stärkung der gesundheitlichen Chancengleichheit eine große Bedeutung für die Akteurinnen und Akteure in Oberbayern hat. „Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben uns zurückgemeldet, dass sie heute Netzwerke bilden konnten“, sagte Frau Steinbeißer in ihrem Fazit zum Workshopnachmittag. Die Veranstaltung diente als Impuls für weitere Vernetzungsprozesse und Aktivitäten, welche die Gesundheit von Menschen in schwierigen Lebenslagen langfristig verbessern sollen.

Bilder