50 Jahre LZG Bayern! – Dieses Jubiläum nahm die Landeszentrale für Gesundheit in Bayern e. V. (LZG Bayern) zum Anlass, um die soziale Gesundheit von Menschen in Arbeitslosigkeit zum Thema zu machen. Am 26.06.2023 veranstaltete die LZG Bayern im Sophiensaal des Bayerischen Landesamts für Steuern den Fachtag „Einsamkeit und Erwerbslosigkeit. Arbeitslos, abgehängt, krank – wenn die soziale Gesundheit leidet!“. Rund 140 Akteurinnen und Akteure aus den Bereichen Prävention, Gesundheitsförderung, Arbeitsförderung und Soziale Arbeit trafen mit großer Vorfreude ein und traten bereits vor der Veranstaltung in einen intensiven Austausch.

Prof. Dr. Heiner Vogel, Vorsitzender der LZG Bayern, begrüßte die Teilnehmenden und wies dabei auf die Relevanz des Themas und einen ganzheitlichen Blick auf Gesundheit hin. Ein Merkmal der fokussierten Zielgruppe, wie der psychologische Psychotherapeut unterstrich, ist ihre Vielfältigkeit. Denn Menschen in Arbeitslosigkeit stellen letztendlich „einen Querschnitt unserer Gesellschaft“ dar. Eine Gemeinsamkeit bestünde dabei insbesondere in dem schlechteren Gesundheitszustand im Vergleich zu Personen in einem Beschäftigungsverhältnis.
Mit dem Fachtag greift die LZG Bayern das diesjährige Schwerpunktthema Einsamkeit des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (StMGP) auf, wie Staatsminister Klaus Holetschek in seinem Grußwort betonte. Der bayerische Gesundheitsminister verwies zudem auf den Einsamkeitsbericht, der im Rahmen der Kampagne „Licht an. Damit Einsamkeit nicht krank macht!“ vom StMGP erstellt wurde. Ziel der Kampagne ist die Vermeidung von Einsamkeit und das Aufzeigen vielfältiger Hilfsangebote für Betroffene, wie beispielsweise die „Supermarkt-Ratschkasse“ in Buxheim oder die „Telefon-Engel“ von Retla e. V. „Denn niemand in Bayern soll ungewollt einsam sein!“, betonte Staatsminister Klaus Holetschek. Die Moderatorin Rita Wüst, Leitung des Projekts teamw()rk für Gesundheit und Arbeit bei der LZG Bayern, griff nochmals die Relevanz des Fachtags auf: Menschen in Arbeitslosigkeit stünden oft nicht im Fokus von Präventionsangeboten, was auch der bayerische Staatsminister bestätigte.

„Die eine Definition von Einsamkeit gibt es gar nicht.“

Jun.-Prof. Dr. Susanne Bücker, Expertin des Kompetenznetzes Einsamkeit, hielt den ersten spannenden Vortrag der Veranstaltung. Die Professorin am Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln erklärte, dass Einsamkeit ein subjektives Gefühl sei, bei dem die individuelle Einschätzung der Qualität von zwischenmenschlichen Beziehungen ein wichtiger Faktor ist. Dieses Gefühl definierte die Vortragende als „eingebautes soziales Thermostat, das als negatives Warnsignal anspringt, wenn eine Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen bemerkt wird“. Menschen in Arbeitslosigkeit stellen neben bspw. Menschen mit chronischen Erkrankungen oder jungen Eltern und Alleinerziehenden eine Risikogruppe dar. Jun.-Prof Dr. Susanne Bücker ging dabei auch auf die Wechselwirkung ein, denn „Arbeitslosigkeit führt zu Einsamkeit und Einsamkeit führt zu späterer Arbeitslosigkeit.“ Die Expertin verdeutlichte außerdem die Problematik einer verminderten psychosozialen Gesundheitskompetenz im Vergleich zum Beispiel der Zahngesundheit: „Wie oft am Tag denken Sie an Ihre Zahngesundheit?“ und „Wie oft am Tag denken Sie dagegen an Ihre soziale Gesundheit?“. Um einer chronischen Einsamkeit und damit auch den gravierenden gesundheitlichen Folgen zu entkommen, bedarf es präventiver Maßnahmen. Ein großes Hindernis stellt dabei die Stigmatisierung dar. Daher ist es unter anderem besonders relevant, das Stigma abzubauen und die Sensibilität für das Thema zu erhöhen. Abschließend wies sie auf die Publikationen des bundesweiten Kompetenznetzes Einsamkeit hin, das sich seit 2022 mit den Ursachen und Folgen von Einsamkeit auseinandersetzt sowie die Erarbeitung und den Austausch über mögliche Präventions- und Interventionsmaßnahmen in Deutschland fördert.

Präsentation: „Einsamkeit im Fokus: Psychologische Perspektiven auf eine gesellschaftliche Herausforderung“, Jun.-Prof. Dr. Susanne Bücker

„Soziale Beziehungen sind die Aspekte, die das Leben schützen!“

Im zweiten bereichernden Vortrag des Fachtags vertiefte Prof. Dr. Peter Brieger, Ärztlicher Direktor des kbo-Isar-Amper-Klinikums in Haar b. München, die schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen von Einsamkeit. „Einsamkeit ist keine Krankheit. Einsamkeit ist ein Zustand.“ Jedoch kann dieser Zustand laut dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Risikofaktor für Erkrankungen, wie Koronare Herzerkrankung oder einem Schlaganfall sein. Neben den physischen Folgen kann Einsamkeit auch zu psychischen Erkrankungen führen. Dabei ging der ärztliche Direktor auf ein erhöhtes Risiko von Depressionen und Suizidgedanken ein. Ein Zusammenhang zwischen Einsamkeit und den genannten Folgen ist jedoch auch wechselseitig. So fasste Prof. Dr. Peter Brieger zusammen: „Einsamkeit macht krank, aber auch Krankheit und Behinderung führen zu Einsamkeit.“ Die offene Fragerunde nach dem spannenden Vortrag verdeutlichte nochmals die wechselseitige Wirkung am Beispiel von Abhängigkeiten, womit das Thema auch ein Aspekt der Suchtprävention darstellt. Schützende Faktoren sind soziale Beziehungen und ein „Lebenssinn“, aber auch „Arbeit zu haben, bei Krankheit, hat eine ähnliche Effektstärke wie Medikamente“. Damit verdeutlichte Prof. Dr. Peter Brieger die Problematik einer Erwerbslosigkeit erneut und betonte abschließend: „Die Würde des Menschen ist unantastbar!“

Präsentation: „Wenn Einsamkeit krank macht. Gesundheitliche Folgen eines subjektiven Gefühls“, Prof. Dr. Peter Brieger

„Es gibt nicht DEN arbeitslosen Menschen, es gibt nicht DIE Lösung“

Nach der Mittagpause, in der die Teilnehmenden nochmals intensiv in einen gegenseitigen Austausch traten, stellte Sarah Ilgner ein Projekt zur Gesundheitsförderung von Menschen in Arbeitslosigkeit – „teamw()rk für Gesundheit und Arbeit“ – vor. Die LZG Bayern verantwortet im Auftrag der Gesetzlichen Krankenkassen die Projektkoordination in Bayern und arbeitet eng mit Fachkräften der beteiligten Agenturen für Arbeit und der Jobcenter im Freistaat zusammen. Um die Problematik des Themas Einsamkeit im Zusammenhang mit Erwerbslosigkeit zu veranschaulichen, holte das Projektteam mittels Fragebogen Erfahrungen und Stimmen der betroffenen Menschen ein. Dabei gaben die Befragten an, dass sie sich weniger einsam fühlen würden, „wenn die anderen Menschen so wie ich wären“ oder wenn sie „mehr Geld [hätten], um an Aktivitäten teilzunehmen“. Ziel des Projekts ist unter anderem, das Gesundheitsverhalten und die sozialen Teilhabechancen von erwerbslosen Personen zu verbessern. Das gelingt laut Sarah Ilgner unter anderem durch die Sensibilisierung und Motivation der Zielgruppe bspw. im Rahmen von kostenlosen Gesundheitsberatungen in den Agenturen für Arbeit oder Jobcentern. Aber auch der Einbezug der Menschen in Arbeitslosigkeit in die inhaltliche Gestaltung des Projekts und niedrigschwellige Angebote zur Prävention und Gesundheitsförderung sind wichtige Maßnahmen von teamw()rk. Abschließend verdeutlichte die LZG-Referentin, dass Agenturen für Arbeit und Jobcenter wichtige Akteure für die Gesundheit der arbeitslosen Menschen sind: „Sie bieten einen Zugang, um die Menschen zu erreichen!

Präsentation: „teamw()rk für Gesundheit und Arbeit – Verbundenheit schaffen durch Gesundheitsförderung für arbeitslose Menschen“, Sarah Ilgner

Haben Sie Fragen zum Projekt teamw()rk für Gesundheit und Arbeit? Dann wenden Sie sich gerne an die Projektkoordination der LZG Bayern. Weitere Informationen finden Sie hier.

„Gesundheit ist 365 Tage, 24/7 ein wichtiges Thema!“

Einsamkeit stellt auch in der Gesundheitsregionplus Unterallgäu-Memmingen ein wichtiges Thema dar. Nicola Galm, Leiterin der Geschäftsstelle, präsentierte die Geschichte und das Konzept der „Gesundheitswoche vom Allgäu bis zum Bodensee“. Der Einbezug der Zielgruppe erfolgt in diesem landkreisübergreifenden Projekt in Zusammenarbeit mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren, unter anderem dem Jobcenter. Bei der diesjährigen Gesundheitswoche, die am Vortag des Fachtags erst beendet war, boten zahlreiche Vereine, Institutionen und Privatpersonen über 320 Veranstaltungen zum Thema „(R)Auszeit für Alle – gemeinsam statt einsam“ an.

Präsentation: „Eine Gesundheitswoche vom Allgäu bis zum Bodensee“, Nicola Galm

„Niemand soll sich zurückziehen, sich isolieren und in Einsamkeit leben müssen.“

Auch in Nürnberg wird das Thema Einsamkeit fokussiert. „Nürnberg ist eine Großstadt, in der das Leben pulsiert, in der man keine 10 Meter gehen kann, ohne einem Menschen zu begegnen. Die Menschen sehen sich zwar, aber sie sagen weder Guten Morgen noch Gute Nacht.“, so Markus Hack, Geschäftsstellenleiter der Gesundheitsregionplus Stadt Nürnberg. Zusammen mit der Gesundheitsberaterin Katja Falk vom Jobcenter Nürnberg-Stadt präsentierte Herr Hack verschiedene Maßnahmen der Einsamkeitsprävention in der mittelfränkischen Metropole, alle unter dem Motto „Begegnung gemeinsam in Nürnberg“. Neben Angeboten für die Allgemeinbevölkerung und Fachkräfte hoben die Referierenden das Beispiel eines Café-Treffs für Menschen in Arbeitslosigkeit hervor.

Präsentation: „Begegnung gemeinsam in Nürnberg“, Markus Hack / Katja Falk

„Platz 1 bei den Telefonanrufen ist die Einsamkeit.“

Den letzten Vortrag zu den Praxisbeispielen hielt Monika Gabel von der Gesundheitsregionplus Landkreis und Stadt Aschaffenburg. Die Geschäftsstellenleiterin stellte ein Veranstaltungskonzept für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zum Thema Einsamkeit vor. Zudem ging sie genauer auf die Beratungserfahrungen der Telefonseelsorge ein, aus welchen die Relevanz des Themas hervorgeht und durch die ein direkter Kontakt zu den betroffenen Menschen entsteht. Denn jeder dritte Anruf hatte in der Vergangenheit das negative subjektive Gefühl von Einsamkeit im Fokus. Frau Gabel betonte: „Beratungen sind aber oft nur der Anfang, wir müssen mit unseren Angeboten darüber hinaus auf die Menschen zugehen!“

Präsentation: „Einsamkeit begegnen – in Einzelberatung, Begleitung und Gruppenbegleitung”, Monika Gabel

„Menschen wollen gehört werden!“

Der Fachtag endete mit einer spannenden Publikumsdiskussion, die aus Perspektive betroffener Menschen durch Katharina Neureiter vom Münchner Verein für soziale Projekte und dem Diakon Michael Wagner, Erzdiözese München und Freising, einen besonderen Stellenwert erhielt. Auch Jun.-Prof. Dr. Susanne Bücker war an der Abschlussdiskussion, die Rita Wüst moderierte, beteiligt. Aus dem Gespräch ging insbesondere die Relevanz von Prävention und Gesundheitsförderung hervor. Denn, wie Katharina Neureiter betonte: „Die Leute verdrängen das. Sie kommen erst, wenn es brennt!“ Aber nicht nur Verdrängung, sondern auch Scham und Stigmatisierung stellen ein Hindernis für frühzeitige Inanspruchnahme von Hilfen und Unterstützung dar. Präventionsangebote sollten zudem vielschichtig sein, um die Heterogenität der Zielgruppe zu berücksichtigen. So „brauchen wir auch Angebote, in denen man still in Gemeinschaft sein kann“, wie Jun-Prof. Dr. Susanne Bücker betonte. Eine Teilnehmende des Fachtags bemerkte, dass es zudem „besonders wichtig ist, die Verantwortung nicht allein bei den Fachkräften zu sehen. [Denn] Einsamkeit ist kein individuelles Problem, es ist komplex, es ist ein gesellschaftliches, politisches und systemisches Problem!“

Unser gemeinsames Ziel – Gesundheit für ALLE

Auch die Landeszentrale für Gesundheit in Bayern e. V. setzt sich als gemeinnütziger Verein und Ansprechpartner für alle, die sich mit Gesundheitsförderung und Prävention in Bayern befassen, für die Teilhabeförderung von Menschen ein. Die Unterstützung der Beteiligung an der Gesellschaft für Menschen in Arbeitslosigkeit ist eines der Ziele des Projekts teamw()rk. Die Koordinierungsstelle Gesundheitliche Chancengleichheit Bayern (KGC), deren Geschäftsstelle bei der LZG Bayern eingerichtet ist, fokussierte das Thema Einsamkeit bereits in der Online-Fachtagung „Hallo, wie geht es dir? – Gesundheit im Alter durch gesellschaftliche Teilhabe“. Das Video „Einsamkeit im Alter – Gefahr für die Gesundheit?!“ fasst die wichtigsten Ergebnisse und Inhalte dieser Veranstaltung zusammen.

Möchten auch Sie Aktivitäten oder Projekte zur Förderung der gesundheitlichen Chancengleichheit ins Leben rufen? Die KGC Bayern unterstützt und begleitet Sie gerne bei deren Entwicklung und Durchführung. Mehr Informationen finden Sie hier.

Mit dem Fachtag „Einsamkeit und Erwerbslosigkeit. Arbeitslos, abgehängt, krank – wenn die soziale Gesundheit leidet!“ wurde die Relevanz des Themas Einsamkeit deutlich. Trotz einiger bestehender Angebote scheint die Zielgruppe der Menschen in Arbeitslosigkeit nicht immer berücksichtigt zu sein.
Ziel des Fachtags war es, diesen Personen eine Stimme zu geben, denn:
„Menschen wollen gehört werden“!

Radiobeitrag: Fachtag „Einsamkeit und Erwerbslosigkeit”, MEDIASCHOOL BAYERN M94.5

Bilder